Fußgänger sind die besseren Piloten, ist doch klar! Das sieht unser fiktiver UL-Pilot Hans-Joachim jedoch ganz und gar nicht so.
Als ich neulich gemütlich auf der Terrasse unseres Flugplatzrestaurants saß und ein Stück Käsetorte verzehrte, wurde ich wieder einmal Zeuge des unnachahmlichen Sachverstands eines Terrassenguckers. Es herrschte durchaus frischer Crosswind und einfliegende Flugzeuge und Luftsportgeräte kämpften technisch völlig korrekt mit diesem Wetterphänomen. Ich gebe ja zu, Nicht-Piloten können damit vielleicht nichts anfangen, aber dann sollen sie sich doch wirklich zurückhalten mit ihren Äußerungen. Aber von vorn:
Am Tisch neben mir hatten sich zwei ältere Ehepaare niedergelassen. Nach dem obligatorischen Verzehr von Kaffee und Kuchen wandten sich die vier interessiert dem Flugbetrieb zu. Es befand sich gerade eine FK9 Mark III im Endanflug auf die Piste 14. Ehemann Nr. 1: „Oh, das ist doch viel zu hoch. Wie will der denn je rechtzeitig runterkommen?“. Ein verstohlener Seitenblick zum Tisch zeigte mir rundum wissendes Nicken und gleichzeitig leicht verzweifelte Ratlosigkeit ob des augenscheinlichen Fehlers des Piloten. Ich dachte bei mir, dass die armen Fußgänger ja nun gar nicht wissen können, dass ein hoher Endanflug bei starkem Wind durchaus sinnvoll ist, um den Verwirbelungen hinter den Bäumen zu entgehen, und wandte mich wieder meinem Kuchenstück zu. Keine zehn Sekunden später hörte ich einen entsetzten Ausruf: „Oh Gott!!! Jetzt trudelt er auch noch! Der stürzt gleich ab!“. Ich schaute zur FK9 und machte große Augen. Sie hatte sich in den Slip begeben, um eben vorher kritisierte Höhe abzubauen und trudelte sowas von überhaupt nicht! Ich war versucht, die vier neben mir darüber aufzuklären, dass es sich beim Slip um eine ungeheuer sichere und stabile Fluglage handelt – somit das ganze Gegenteil zum von ihnen postulieren Trudeln – konnte mich jedoch gerade noch zurückhalten. Sie hätten mich ja doch nicht verstanden und wären viel glücklicher damit gewesen, weiterhin an den Fehler und somit an eine herrschende Dramatik zu glauben. Also Klappe halten und wieder dem Kuchen zuwenden, von dem immerhin noch ein kleines Stück übrig war.
Während des Kauens beobachtete ich, wie die FK9 aufsetzte und zuckte zusammen, als erneut am Nebentisch ein entsetzter Kommentar die Idylle zerriss: „Um Gottes Willen. Der wäre ja beinahe umgekippt. Mit nur einem Rad aufsetzen! Das ist doch gefährlich!!“. Aus reinem Instinkt wollte ich nun doch zu einem aufklärenden Kommentar ansetzen, da blieb mir das Stück Kuchen im Halse stecken! Ich verfiel in einen Hustenanfall, der mir die Tränen in die Augen trieb. Von nebenan hörte ich leicht verzerrt: „Guck‘ mal, der hat sich dabei auch voll erschrocken!“, was meinen Hustenanfall nur noch verstärkte. Als ich endlich wieder halbwegs Luft bekam, war Ehemann Nr. 2 aufgestanden und schaute gespannt in Richtung einer einfliegenden C42. Vor seinem stattlichen Bauch baumelte eine riesen Kamera, die er nun aufnahm und auf das Flugzeug richtete. Kurz darauf wandte er sich seiner Kleingruppe zu und stellte voll grundlegenden Unverständnisses fest: „Der fliegt auch total schief! Seht Ihr das?“. Die Hälser der Gruppe reckten sich in die Höhe, dann wieder dieses wissende Nicken und verständnisloses Kopfschütteln. Ich wollte ansetzen, sie nun endlich aufzuklären, ging jedoch mit meiner krächzenden Stimme in dem nächsten Wortschwall von Ehemann Nr. 1 unter: „Fliegen ist echt gefährlich. Vor allem, wenn man so fliegt, wie die da“, stellte er fest. Und: „Heinrich, den kennt ihr doch auch, der macht hier diesen Segelflug, ohne Motor. Der hat mir erzählt, dass die Piloten auf solchen Maschinen eigentlich gar nicht so richtig fliegen können“. Aufgrund der zuvor festgestellten Fehlerhäufigkeit war diese Schlussfolgerung durchaus einleuchtend und so erntete Ehemann Nr. 1 volle Zustimmung. Mir wurde langsam etwas übel, da mir so einiges durch den Kopf ging, was ich diesen Menschen am liebsten lautstark mitgeteilt hätte. Ich schüttelte deutlich sichtbar den Kopf, was mir sofort einen mahnenden Blick der Ehefrau Nr. 1 einbrachte und schaute daraufhin angestrengt auf meinen mittlerweile leeren Kuchenteller.
Als ich dann hörte, dass Ehemann Nr. 1 noch sagte: „Da steigt der erste Pilot gerade aus seiner Cessna. Na, da hatte er ja echt Glück, dass die noch heile ist“, erhob ich mich abrupt und ging in völliger Selbstkontrolle in Richtung Ausgang.
Tja, Fußgänger sind einfach die besseren Piloten, schon klar. Hier hätte wohl der weise Sokrates helfen können. In dem Sinne: Ich weiß, dass ich nichts weiß und bis neulich!
Verfasser: Marie-Theres Hahn; Zeichnung: Markus Horowski
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